40. Kapitel
Isabelle scheint sehr von ihr angetan zu sein«, bemerkte Patrick lächelnd, den Blick aufs andere Ende des Ballsaals gerichtet, wo sich Violet angeregt mit dem Oberhaupt des Westclans unterhielt.
Angelica nickte. »Selbstverständlich. Schließlich ist sie meine Cousine. Jeder muss sie lieben«, erklärte sie im natürlichsten Tonfall der Welt.
Patrick konnte nur den Kopf schütteln über so viel Überheblichkeit. Sein Blick wanderte zu Ismail hinüber, der sich mit James unterhielt. Er hatte seinen Freund lange nicht mehr so glücklich erlebt wie jetzt auf dem Landsitz der Belanows, umgeben von Vampiren aus allen Regionen des Nordterritoriums sowie von Angelicas Gästen. Der Blick des Osmanen ruhte voll Zuneigung auf seiner Tochter.
»Ist dir eigentlich bewusst, dass die meisten Anwesenden der Meinung sind, es würde sich hier um eine Verlobungsparty handeln?«, bemerkte Angelica unschuldig. Patrick schaute lachend die Frau an, die Cousine seiner Geliebten, Ehefrau seines Freundes und Auserwählte war - eine der drei Auserwählten, verbesserte er sich rasch.
»Wo ist Mitja?«, erkundigte er sich.
»Bei ihrem Vater natürlich. Oder glaubst du, er würde sie auch nur einen Augenblick loslassen?«, schnaubte Angelica, doch das Strahlen in ihren Augen war unübersehbar. Ihr Blick suchte und fand Alexander, der mit Mikhail zusammenstand. Ismail trat soeben dazu. Alexander hatte ihr Töchterchen auf den Armen. »Aber glaub nur nicht, du könntest so einfach das Thema wechseln«, sagte sie streng. »Ich will wissen, ob du meine Cousine glücklich machen wirst, Patrick James Bruce.«
»Ich werde mein Bestes tun«, antwortete Patrick. Er wusste natürlich, worauf Angelica hinauswollte: ob er Violet heiraten würde. Aber er hatte nicht die Absicht, ihre Neugier zu befriedigen. Violet hatte in den letzten beiden Monaten nicht nur einen Vater bekommen, einen Cousin und eine Cousine, sondern auch eine neue Identität als eine der Auserwählten. Sie hatte bei der Verkündung des Todesurteils für die Mitglieder der Wahren Vampire anwesend sein müssen und fing gerade erst an, sich an die Lebensweise der Vampire zu gewöhnen. Er hatte nicht die Absicht, sie zu irgendetwas zu drängen und würde auch nicht zulassen, dass andere es taten. Sie sollte so viel Zeit bekommen, wie sie brauchte.
»Patrick, könnte ich kurz mit dir sprechen?« Mikhail trat mit einem besorgten Ausdruck zu ihnen.
»Natürlich. Worum geht's?«
»Unter vier Augen?«, bat er und warf seiner Schwester einen entschuldigenden Blick zu.
Die natürlich sofort beleidigt war.
»Mikhail Belanow, du wirst mir sowieso erzählen müssen, was du mit Patrick besprochen hast! Ich sehe also keinen Grund, mich zu verärgern. Du etwa?«
»Schwesterherz, ich wünschte manchmal wirklich, du wärst nicht so eine Besserwisserin«, beschwerte sich Mikhail und warf Patrick einen hilfesuchenden Blick zu. Aber Patrick hatte nicht die Absicht, sich einzumischen; er kannte die Geschwister gut genug, um sich nicht die Finger zu verbrennen.
»Wenn alle Wünsche wahr werden würden, gäbe es Frieden auf der Welt«, sagte Angelica. »Oder Mord und Totschlag. Aber so ist es nun mal nicht. Also erzähl schon, was du auf dem Herzen hast.«
»Na gut.« Mikhail holte tief Luft. »Aber ich will nicht, dass du dir zu viele Hoffnungen machst oder zu enttäuscht bist, wenn es nicht funktioniert, in Ordnung?«
»Klar.«
Patrick war froh, dass sich die Geschwister endlich einig waren. Er wollte wissen, was Mikhail zu sagen hatte.
»Was soll funktionieren?«
Mikhail vergewisserte sich mit einem raschen Blick, dass sie nicht belauscht wurden, dann flüsterte er: »Wisst ihr noch, als Angelica beinahe von Sergej getötet worden wäre?«
Patrick wusste genau, was der Prinz meinte. Angelica war vor einigen Monaten von einem Vampir namens Sergej attackiert worden und nur knapp mit dem Leben davongekommen. Ihr Mann Alexander hatte den wilden Vampir besiegt. »Ja, und?«
»Angelica war schwer verwundet, und mein Blut hat sie geheilt.«
Patrick begriff nicht, worauf Mikhail hinauswollte. Angelica, deren Augen sich weiteten, jedoch schon.
»Das Blut hat mich geheilt, so wie es einen Vampir heilen würde, verstehst du?«, stieß sie erregt hervor, senkte aber sofort ihre Stimme, als ihr Bruder ihr einen scharfen Blick zuwarf. »Vielleicht funktioniert das auch bei Violet!« »Schön und gut, aber ich habe nicht die Absicht zuzulassen, dass sie noch mal verletzt wird«, versicherte Patrick den beiden.
»Gott, Männer können so langsam sein!« Angelica verdrehte die Augen und überließ es Mikhail, Patrick aufzuklären.
»Aber sie ist verletzt, Patrick. Sie ist blind.«
Patrick ging ein Licht auf. Konnte Blut Violets Augen heilen?
»Du musst es versuchen«, drängte Angelica. Patrick wusste, dass sie recht hatte. Aber wenn es nun nicht funktionierte? Er brachte es nicht übers Herz, ihr erst Hoffnungen zu machen und sie dann zu enttäuschen.
»Danke, Mikhail, dass du damit zu mir gekommen bist. Wenn ihr mich jetzt entschuldigen würdet?«
Er verließ den Ballsaal und ließ Bruder und Schwester zurück.
Violet rieb sich zitternd die Arme, als Patrick sie auf den Balkon hinausführte.
»Hier«, sagte er und legte ihr seine Smokingjacke um die Schultern. Violet musste an das erste Mal denken, als er das getan hatte. Sie lächelte. Wie sehr sich ihr Leben verändert hatte, seit sie als Geigerin im Zirkus aufgetreten war, besessen davon, den Mörder ihres Vaters zu finden...
»Ich weiß, du hast in letzter Zeit sehr viel zu verdauen«, begann Patrick, und Violet musste lachen. Ja, so konnte man es ausdrücken.
»Hör auf, dir Sorgen um mich zu machen, Patrick. Mir geht's gut, ganz bestimmt.« Sie trat auf ihn zu, gab ihm einen Kuss auf die Lippen und trat zurück, was ihr schwerer fiel denn je. Obwohl sie seit Wochen hier waren und es ihr längst wieder gut ging, war er kein einziges Mal in ihr Bett gekommen. Ihre Sehnsucht nach ihm wurde von Tag zu Tag größer.
»Ich will dir nicht noch mehr zumuten.«
War das der Grund, warum er sie nachts mied? Violet schüttelte den Kopf. »Das ist keine Zumutung, im Gegenteil. Ich liebe dich, und du fehlst mir.«
Er zog sie mit einem Ruck an sich und nahm sie fest in seine Arme. »Da ist etwas, das ich dich fragen wollte, bevor dich dieser Bastard Daniel entführt hat.«
Violet lächelte selig, die Wange an seine Brust geschmiegt. Sie glaubte zu wissen, was jetzt kam.
»Wir werden ihn finden, Violet.«
»Ach, er ist mir egal. Meine Rachegelüste sind ein für alle Mal gestillt. Ich bin glücklich, Patrick. Und jetzt frag, was du mich fragen wolltest.«
Seufzend legte er seine Stirn an die ihre.
»Willst du meine Frau werden, Violet?«
Sie strahlte. Wie kam es nur, dass sich all ihre Wünsche erfüllten?
»Ja, Patrick. Ja, ich will deine Frau werden.«
Patrick lachte. »Das ist gut! Das ist sehr gut!«
»Mylord?«
Violet seufzte, als Patrick sich von ihr löste und zu seinem Butler umwandte. Sie wartete, nahm die Gerüche des Gartens und der dahinterliegenden Berge in sich auf. Sie schnupperte. War das Blut? Sie wollte sich gerade zu Patrick umdrehen, als er von hinten die Arme um sie schlang und sie zwischen sich und der Balkonbrüstung festhielt.
»Vertraust du mir, Violet?«, fragte er rau.
Violet lehnte sich mit dem Rücken an ihn, genoss seine Nähe und seine Wärme.
»Ja.«
Er drückte ihr ein kleines Glasfläschchen in die linke Hand. Ihre Nase verriet ihr, dass es mit Blut gefüllt war.
»Was ist damit?«
Patrick strich ihr Haar beiseite und drückte einen zärtlichen Kuss auf ihren Hals.
»Schließ die Augen, und trink es, Liebes. Dir wird nichts passieren, ich verspreche es.«
Sie sollte Blut trinken? Der Gedanke machte sie nervös. Warum sollte sie Blut trinken? War das eine Art Ritual?
»Patrick, ich...«
»Violet, bitte. Vertrau mir.«
Sie schloss die Augen. Patrick drückte sie zärtlich an sich.
Mit klopfendem Herzen setzte sie das Fläschchen an die Lippen und leerte es in einem Zug aus.
Die Sekunden verstrichen, bis Patrick ihr das Fläschchen schließlich aus der Hand nahm.
»Mach die Augen auf, Liebes.«
Violet schluckte nervös. Warum hatte sie auf einmal Angst?
»Mach die Augen auf, Violet.«
Sie holte tief Luft und schlug die Augen auf.
Und blickte direkt in die Sichel des Neumonds.
Ende